Die Niederlande zählen zu den Staaten Europas mit dem anteilig größten Leiharbeitssektor. Nach Angaben des bedeutendsten Arbeitgeberverbands der Leiharbeitsbranche, dem ABU (Allgemeiner Bund der Leiharbeitsunternehmen), waren im Jahr 2007 3,6 Prozent aller Erwerbstätigen als Leiharbeitskräfte beschäftigt, in Deutschland waren es im selben Jahr 1,2 Prozent. Nach tiefgreifenden Deregulierungen Ende der 1990er Jahre sind Leiharbeitsverhältnisse in den Niederlanden heute weniger per Gesetz als vielmehr durch allgemeinverbindliche Tarifverträge geschützt.
Leiharbeit wird in den Niederlanden am häufigsten in der industriellen Produktion genutzt. Anders als in den meisten anderen europäischen Ländern gehören zu weit geringeren Anteilen jedoch auch öffentliche Einrichtungen zu den Auftraggebern. Dabei dient Leiharbeit offenbar weit häufiger dem Berufseinstieg als hierzulande. Die große Mehrheit der Beschäftigten steht am Beginn des Erwerbslebens. Im Jahr 2007 waren nur 9 Prozent der niederländischen Leiharbeitnehmer über 45 Jahre alt, demgegenüber war die Hälfte unter 25. In keinem anderen europäischen Land macht diese Altersgruppe einen so großen Anteil aus. In Deutschland beispielsweise hat der durchschnittliche Leiharbeitnehmer schon die 37 überschritten.
Verbot, Regulierung, Deregulierung
Als eines der ersten Länder Europas reagierten die Niederlande auf die in den 1960er Jahren zunehmenden illegalen Aktivitäten von Arbeitsvermittlern. 1965 erließ das Parlament ein Gesetz, das den Verleih von Arbeitskraft unter bestimmten Bedingungen erlaubte. Viele dieser Regeln wurden jedoch 1998 mit dem "Gesetz über die Vermittlung von Arbeitskraft" (WAADI) wieder abgeschafft. Seither müssen Leiharbeitsfirmen sich nicht mehr lizensieren lassen und können mit Hilfe von Vertragsklauseln verhindern, dass ihre Beschäftigten feste Anstellungsverhältnisse mit Entleihfirmen oder anderen Arbeitgebern eingehen. Offizielle Zahlen über Ausmaß und Qualität von Leiharbeit sind daher rar. Derzeit fordert der größte Arbeitgeberverband der Branche, ABU, die Wiedereinführung der Lizensierungspflicht, da sich Fälle illegaler Einsätze von Leiharbeit häufen.
Ebenfalls abgeschafft wurden die Begrenzung der Einsatzdauer und das Verbot, Arbeitskräfte wiederholt einzustellen. Ein bescheidener Ausgleich für diese Einschnitte war das Flexicurity-Gesetz, das Leiharbeitsverträge 1999 zu regulären Arbeitsverträgen erklärte. Eine aus gewerkschaftlicher Sicht wichtige Regelung blieb jedoch bestehen: Leiharbeitnehmer dürfen weiterhin nicht in Betrieben eingesetzt werden, während diese bestreikt werden.
Tarifverträge ohne Dumpingkonkurrenz
Lohnansprüche von Leiharbeitnehmern sind in den Niederlanden ähnlich geregelt wie in Deutschland, zumindest gesetzlich. Mit dem WAADI wurde dort zwar der Grundsatz Equal Pay / Equal Treatment eingeführt. Wie in Deutschland kann das Prinzip jedoch durch Tarifverträge relativiert werden. Der entscheidende Unterschied sind die bestehenden Tarifverträge selbst. Die drei Gewerkschaften, in denen Leiharbeitnehmer in den Niederlanden organisiert sind, müssen sich nur gegen die Interessen von Arbeitgebern durchsetzen. Nicht wie deutsche Gewerkschaften, die zusätzlich mit arbeitgeberfreundlichen Scheingewerkschaften konkurrieren müssen. So konnten die drei Gewerkschaften FNV Bondgenoten, CNV Dienstenbond and De Unie seit 1985 Tarifverträge mit der größten Arbeitgebervereinigung der Branche (ABU) abschließen. Diese wurden seither immer für allgemeinverbindlich erklärt und gelten damit jene 90 Prozent der Leiharbeitnehmer (Stand 2009), deren Arbeitsverhältnis nicht durch einen anderen Tarifvertrag geregelt ist.
Bezahlung und rechtlicher Status genau geregelt
Der seit April 2009 gültige Tarifvertrag legt genau fest, mit welchem Qualifikationsgrad welcher Stundenlohn gezahlt werden muss und in welchen Raten dieser angehoben werden muss. Im Normalfall liegt der Einstiegslohn je nach Qualifikationsgrad zwischen 8,70 EUR und 13,53 Euro pro Stunde und kann bei längerer Beschäftigungsdauer auf bis zu 21,25 Euro ansteigen.
Außer der Lohnhöhe regelt der Tarifvertrag auch den rechtlichen Status der Leiharbeitnehmer, der in drei Phasen aufgeteilt wird. Nach 18 Monaten muss der Arbeitgeber mit der Einzahlung in die Rentenkasse beginnen. In der letzten Phase, nach frühestens 24 Monaten Vertragslaufzeit, erwerben Beschäftigte ein Anrecht auf einen unbefristeten Vertrag beim jeweiligen Verleihunternehmen.
Bewertung: Tarifverträge bieten quasi-rechtlichen Schutz
In den Niederlanden hat der Gesetzgeber sich noch weiter und noch früher aus der Regulierung von Leiharbeit zurückgezogen als in Deutschland. Dennoch ist Leiharbeit deutlich klarer geregelt als hierzulande. Denn der Gesetzgeber macht schon seit den 1980ern von der Möglichkeit Gebrauch, Tarifverträge in der Leiharbeitsbranche für allgemeinverbindlich zu erklären. Wer welche Rechte hat, ist somit für jeden transparent und nachvollziehbar.